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Historische Handlung

Sie herrschten über das Vogelparadies, genannt Sankt Kilda, eine verlorene Inselkette im nördlichen Atlantik.

Als unnahbar geltende Inseln, selbst für die erfahrendsten Seefahrer, liegen sie geschützt durch unberechenbare Winde und Strömungen. Ihre Namen kamen immer wieder auf, wenn man die unendliche Kette von Schiffsunglücken und Meerestragödien heraufbeschwor, die dieser wüste Teil der nordischen Meere gesehen hat. Man nannte sie die "Inseln vom Ende der Welt".


Sie lebten inmitten von Millionen großer Seevögel, die seit allen erdenklichen Zeiten diese Inseln zu ihrer Bleibe erwählt hatten - Möwen, Basstölpel, Albatrosse, Sturmvögel, Lummen, Papageientaucher, Austernfischer. Ihr Dasein verschmolz mit dem Lebensrhythmus dieser Hochseevögel, die in Wirklichkeit die wahren Herren dieser unwirtlichen, den ständigen Launen der Elemente ausgesetzten Felsen waren.

Sie ernährten sich von ihrem Fleisch und ihren Eiern, die sie den Felsmulden entnahmen und die sie frisch oder bis zu acht Monate gealtert aßen.

Sie schliefen in den gesammelten Daunen der getöteten Vögel, dicht an ihren Öfen, die mit dem Torf der Vogelexkremente geheizt wurden.

Auch wenn sie sich auf das Meer wagten und in ihren einfachen Booten die kräftigen Wellen herausforderten, richteten sie sich noch nach den Fluglinien dieser Vögel, die ihnen zutiefst vertraut waren.


Ihre Hauptbeschäftigung bestand darin, die Nester in den steilen Felsen ausfindig zu machen, um sich so, durch die Eierernte, ihr Hauptnahrungsmittel zu sichern. Sie kletterten immer gruppenweise und bei allen Frostgraden barfuss. Aneinander angeseilt kämpften sie gegen die furchtbaren Windböen und hielten zusammen - oft bis in den Tod. Ihr Vertrauen in den anderen war die Grundlage für ihre Beziehungen, die Voraussetzung für ihr überleben.

Mit besonders dicken Knöcheln und mit Zehen, die an die Greiforgane von Klettertieren erinnerten, hatte sich ihre Morphologie über Jahrhunderte an die rauen Existenzbedingungen angepasst, die eine extreme Natur ihnen bescherte.


Ihre Lebensweise war absolut kollektiv, von zwei "Parlamenten" verwaltet, das der Männer und das der Frauen, die jeden Morgen die tägliche Arbeit organisierten.

Sie kannten weder Bäume, noch den Krieg, noch die Schrift, den Spiegel oder das Geld. Das Personalpronomen "Ich" war ihnen unbekannt. Es gab kein Ego, sondern nur "Wir". Sie waren als Gruppe eine Einheit und das Individuum war mit dem Kollektiv verschmolzen. Ihre Religion stammte zweifelsohne von den Ursprüngen des Christentums und beinhaltete Teile der nordischen Mythologie (zum Beispiel den Mythos der nordischen Amazone).


Dann kam die Zivilisation und der Spiegel...


Im 18. Jahrhundert landete eine Gruppe von 18 Sankt Kildanern auf der Insel North Uist, auf den äusseren Hebriden. Als man anfing, sie über ihr Leben auf den Inseln auszufragen, antworteten die 18 Männer im Chor, perfekt synchronisiert. Das Personalpronomen "Ich" war ihnen unbekannt. Sie konnten sich nur kollektiv ausdrücken.

Sie lebten, arbeiteten, dachten zusammen, in der Gruppe, vollkommen solidarisch miteinander, verbunden bis in den Tod, in allen ihren Handlungen. Sie schliefen auf den gleichen Steinbänken, in der Feuerecke zusammengekauert. Ihre Wörter waren immer auch die Wörter der anderen und ihre Träume, so erzählten sie, waren oft die gleichen.

Zu den anderen, zu den Fremden, sprachen sie also im Chor. Ihr eigenes Gesicht sahen sie nicht. Sie sahen sich selbst nur im Blick ihrer Gefährten. Der Spiegel war ihnen in der Tat unbekannt und auf den Inseln gab es keine Wasseroberfläche, so klein sie auch sein mochte, die ruhig genug war, um das Bild eines Gesichtes widerzuspiegeln. Sie wussten also nicht, wie sie aussahen. Ihr Gesicht war das, des anderen.


Erst 1903 schenkte ein Kapitän der britischen Handelsmarine einem Einwohner den ersten Spiegel. Man erinnert sich an ihn, da er der erste Sankt Kildaner gewesen ist, der sein Gesicht im Spiegel gesehen hat: Er hieß Norman McQueen. Er hob ihn heimlich tief in seiner Tasche auf und holte ihn nur heraus, um sich anzusehen und sich mit seinem eigenen Bild auseinander zu setzen. Man sagt, dass ihn eines Tages seine Frau überrascht hat, als er sein Stück Spiegelglas unter seinem Kopfkissen versteckte. Sie wurde eifersüchtig, zog das Beweisstück hervor und machte folgenden Kommentar: "Eins steht fest, es ist nicht unbedingt eine Schönheit"...

Der Spiegel hielt also seinen Einzug, lenkte plötzlich den Blick auf das Individuum, das ihn hielt, auf dieses "Ich", das es zuvor in dieser vollkommen gleichgerechten Gesellschaft nicht gab. Hier lag der Anfang des langsamen Auseinanderfalls dieser Gesellschaft. Die jungen Leute, die kein Solidaritätsgefühl zu ihrem Clan mehr spürten, verließen die Inseln, um anderswo ihr Glück zu suchen.

Sie hatten sich schön, glücklich und reich an all ihren Naturschätzen geglaubt. Der Spiegel und das Trugbild der Zivilisation haben ihnen diese Vorstellung schnell ausgetrieben.
Dies war der Anfang vom Ende.


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